Donnerstag, 24. August 2017

Freitod eines Musikers - Mehr als ein Verlust für Familie und Fans



Vorwort


Vorab möchte ich betonen, dass der Text meine subjektive Ansicht zu der Thematik wiederspiegelt und keinen wissenschaftlichen Anspruch hat. Ich erwarte weder Einwände noch Zustimmung oder dass im Anschluss sich die Welt verändert hat. Es ist mir gelinde gesagt ein Bedürfnis, mich diesbezüglich zu äußern. 




Schock am Donnerstag


Vielen von uns verschlug es vor kurzem regelrecht den Atem, als der Tod von Linkin Park Sänger Chester Bennington bekannt wurde. Wie bei vielen begleitete mich die Musik dieser Band in meiner Teenie-Zeit und obwohl sie für mich inzwischen an Stellenwert eingebüßt hat, so erfreue ich mich immer noch an ihren Songs.


Ohne Zweifel ist es immer tragisch, wenn ein Mensch den Kampf gegen seine inneren Dämonen verliert und den Freitod wählt. Und es ist unlängst beschissen genug, dass ein guter Musiker gestorben ist.


Allerdings – und ich will den Menschen ihre trauernde Sprachlosigkeit bezüglich des Verlustes nicht absprechen und bezichtige niemanden nicht wirklich im den Sänger zu trauern – ist mir trotz meiner eigenen Betroffenheit der zeitlich verzögerte Aufschrei der Menschen bezüglich Depressionen zuwider. Nun, auch wenn die mediale Sintflut sich diesbezüglich (noch?) recht bedeckt hält, so beobachte ich das Ganze skeptisch.

Aber was genau stört mich? Es sind genau zwei zentrale Aspekte; Zum einen die Reduzierung eines Menschen auf seine Krankheit – schließlich war Chester Bennington mehr als nur eine Person mit Depressionen – und zum anderen der Umgang mit dem Thema Depressionen an sich, dass durch seine dilettantische Verkürzung dem Betroffenen nicht gerecht wird.






Das gesellschaftliche Depressionsdrama


Zuerst möchte ich mich dem Thema im Allgemeinen zu wenden. Im alltäglichen Leben leiden viele Menschen an Depressionen und zu oft wird diese Erkrankung von viel zu vielen Personen abgetan. Nach dem Motto „Jeder ist ja mal traurig.“ oder „Dann sei doch einfach nicht mehr traurig.“ werden Betroffene oft nicht als ernsthaft erkrankt wahrgenommen – Zumindest ist das der Eindruck, den viele Depressive beschreiben und welches ich am Verhalten anderer bestätigt sehe.


Vielleicht liegt es daran, dass aufgrund der Eigendiagnose „Depression“ die Gesellschaft ähnlich abstumpfen ist wie es bei selbstzugeschriebener Legasthenie oder ADHS. Möglicherweise können sich viele auch schlichtweg nicht vorstellen, wie die eigene Psyche droht von dem dunklen Sog ihrer Selbst verschlungen zu werden und wie einen die eigenen düsteren Gedanken immer mehr in den seelischen Abgrund zwischen Trauer, Verzweiflung und Gefühlslosigkeit treiben ohne dass man sich ihrer Macht entziehen könnte, ganz gleich wie man sich wehrt.


Es könnte aber auch damit zusammenhängen, dass in einer sich zur Selbstoptimierung geißelnen Gesellschaft kaum Platz für Krankheiten generell ist, insbesondere, wenn es sich um welche handelt, die nicht sichtbar sind oder sich vor allem auf die Black Box des menschlichen Geistes beziehen. Zudem wird oft suggeriert, dass Depressionen per se heilbar sowie temporär sind und eigentlich jeder Mensch mal darunter leiden würde. Dass dabei viele Menschen übersehen werden, deren Dämonen sie länger, vielleicht sogar ein Leben lang begleiten und nicht zwangsläufig zu behandeln sind, wird dabei außen vor gelassen. Dabei spreche ich von Dimensionen, die außerhalb dieser „einmal im Leben für eine Zeit“- Terminologie fallen, sondern von den Menschen, bei denen die Erkrankung zum ständigen Begleiter geworden ist. Und nein, dabei handelt es sich nicht um randständige Existenzen, die im Strudel der Zeit verschlungen wurden; Es betrifft auch viele Personen, die einen Platz mitten in der Gesellschaft haben. Aber das ist ein Thema, dass an für sich adipöse Bände einer Depressions-Enzyklopädie beanspruchen würde und hier nicht weiter ausgeführt wird.


Unwissenheit statt Ausklärung
Diese gesellschaftliche Verklärung zu Depressionen führt mitunter zu einen für mich skurril anmutenden  Gebaren vieler Menschen, dass zu diesem Thema zu Tage tritt. Ich will bei Leibe nicht sagen, dass ich auf dem Gebiet besonders versiert bin, jedoch bin ich mir meiner begrenzten Kenntnis bewusst und habe mir die Müge gemacht, mich fachlich zumindest grob zu informieren und mit Betroffenen zu sprechen.

Um es vorweg zu nehmen: Mir widerstrebt dabei NICHT die kollektive Betroffenheit, die nach dem Suizid eines bekannten Depressionsleidendem auftritt, sondern die kurz danach auftretende Fülle von Kommentaren zu der Krankheit. Und das von Menschen, deren Wissen - zumindest legen es so manche Aussagen nahe – darüber derart oberflächlich ist, dass es mir die Schamesröte ins Gesicht treibt. Und gerade diese Beiträge werden mitunter bis zum Erbrechen gelikt und geteilt und verbreiten so ein Bild von Depressionen, dass diese Erkrankung nur unzulänglich bis falsch wiedergibt.

Mit Unbehagen entsinne ich mich an die Flut an unwissenden Posts und Kommentaren, die nach dem Ableben von Robin Williams die digitale Welt überschwemmten. Gedanken a la „Durch seine Depressionen war seine Heiterkeit nur eine Maske“ oder „Er wollte andere zum Lachen bringen, weil er selbst so traurig war“ wurden an jeder Ecke der Social Media Welt verbreitet. Der Gedanke, dass Depressive nicht aus vollen Herzen lachen könnten zeigt mehr als deutlich die Unwissenheit über eine Erkrankung, die so vielfältig zu Tage tritt, dass manchmal Betroffene und ihr Umfeld von der Diagnose überrascht sind.

Aber es tangiert mich wahrlich nicht nur die Ahnungslosigkeit über Depressionen, denn Unwissenheit an und für sich ist grundsätzlich nichts Verwerfliches, wenn aber Unwissende ihre Gedanken zu einen Thema präsentieren, als wüssten sie, wovon sie reden, erscheint mir gerade bei einen solchen Zusammenhang ziemlich unpassend. Jeder, der sich einigermaßen mit Depressionen auseinander gesetzt hat – ganz gleich, aus welchen Gründen – dürfte wissen, dass sich diese Krankheit nicht so platt pauschalisiert werden kann.



Zweierlei Maß

Der letzte Aspekt, der sich mit Depressionen im Allgemeinen befasst, ist die gegensätzliche Reaktion, die bei dem Thema auftritt. Ich fände es begrüßenswert, wenn sich die Gesellschaft mit dieser Erkrankung jenseits der hohlen Phrasen auseinandersetzt und selbst, wenn der Anstoß durch den Verlust eines bekannten Menschen geschieht. So hinterließe der Tod neben der Trauer ein Fünkchen Hoffnung, was jedoch dann im Zusammenhang mit Prominenz zum Thema geschieht, ist an perverser Doppelmoral kaum zu überbieten; schließlich scheint es, als wenn aus „Dann hör´ doch auf, traurig zu sein“ „Depressionen sind so schlimm“ wird. 

Anstatt, dass sich ein allgemeines Verständnis für die Erkrankung einstellt, wird mit zweierlei Maß gemessen. Ich vermute, die meisten Betroffenen – sei es die erkrankte Person selbst oder deren Angehörigen – spüren vielleicht eine ähnliche Aversion bezüglich dieses Ungleichgewicht der Reaktionen; Zum einen das alltägliche Erleben der Banalisierung sowie dem Missverstehen von Depressionen und dann die exorbitante Menge an flüchtigen Verständnis für diese Krankheit, wenn es eine bekannte Person betrifft.



Trauer um einen Musiker

Nun, neben diesem fast schon skurril anmutenden Umgang mit Depressionen scheint ein weiterer Missstand aufzutreten, wie ich ihn zu Beginn bereits angesprochen habe. Denn durch diese Depressionspost im Kontext zu dem Suizid eines Menschen rückt relativ zeitnah das eigentliche Thema nach hinten. Statt einfach mal nur um den Musiker Chester Bennington zu trauern, verseuchen zunehmen die platten „Depressionsweisheiten“ die Todesmeldung.

Die unmittelbare Nennung der Krankheit bei seiner Todesmeldung ebenso wie die mediale Welle der Depressionskommentare führen dazu, dass die Trauer um die Person nebensächlich wird. Damit wird weder den Angehörigen noch dem Verstorbenen genüge getan; Aus einen Menschen mit Familie und Karriere wird ein Musiker, der sich wegen Depressionen umgebracht hat.

Es hat keinen halben Tag nach der Bekanntwerdung gedauert bis gefühlt jede Meldung bezüglich seines Todes das Wort Depression genannt wurde. Es ist mehr als schade, dass nicht mal in Ruhe um einen Musiker getrauert werden kann, ohne dass gleichzeitig auf seine Depressionen hingewiesen wird. Ich habe mitunter den Eindruck, dass der Freitod eines Prominenten für die Medienwelt eine besondere Perle zu sein scheint…



Zwischen Abschiednehmen und Ärgernis

Nun, diese zwei Aspekte, die bei diesem Todesfall zutrage kommen; Der ambivalente Umgang mit einer Krankheit verstimmt mich und behindert mich persönlich daran, um einen meiner liebsten Musiker meiner Jugend zu trauern. Und ja, mir ist durchaus bewusst, dass ich mit diesem Beitrag gleichermaßen an dem Diskurs teilnehme, aber der Weg ist ein anderer.

Es gibt viele Dinge, die gesellschaftlich arg verbesserungswürdig sind, jedoch dieser Punkt tangiert mich aufgrund meines eigenen Unverständnisses in besonderen Maße. Ich kann schlichtweg nicht erfassen, warum die Menschen eine solche Auffassung von Depressionen haben und geistige Erkrankungen generell eine gesellschaftliche Stigmatisierung erfahren, so sind körperliche Gebrechen doch anerkannt; Niemand würde jemanden mit gebrochenen Bein sagen, dass es einfach nicht mehr gebrochen sein soll. Es ist wahrlich nicht so, dass ich das nicht auf intellektueller Ebene verstehe; Es ist viel mehr so, dass mein Verständnis dieses Unverständnis nicht begreifen kann – oder will.



Fazit – Was bleibt

Wie dem auch sei; Letztendlich bleiben neben einer trauernden Familie und bestürzten Fans auch viele Leidensgenossen zurück, die diese Farce von einer verständnisvollen Allgemeinheit ertragen müssen. Es mag nicht so drastisch sein, wie ich es schildere, aber zweifelsohne lässt sich nicht leugnen, dass dieser Eindruck über die Medien – und damit umfasse ich auch die Web 2.0 Instanzen – transportiert wird. Und ich bezweifle, dass nur ich diesen Eindruck habe. 

Im Großen und Ganzen – und es gibt vermutlich noch einige Aspekte zu berücksichtigen – bewirkt der Selbstmord Chester Benningtons mehr als die Trauer von Angehörigen und Fans. Und das finde ich schon bitter genug.


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