Vorwort
Vorab möchte ich betonen, dass der Text meine subjektive
Ansicht zu der Thematik wiederspiegelt und keinen wissenschaftlichen Anspruch
hat. Ich erwarte weder Einwände noch Zustimmung oder dass im Anschluss sich die
Welt verändert hat. Es ist mir gelinde gesagt ein Bedürfnis, mich diesbezüglich
zu äußern.
Schock
am Donnerstag
Vielen von uns verschlug es vor kurzem regelrecht den
Atem, als der Tod von Linkin Park Sänger Chester Bennington bekannt wurde. Wie
bei vielen begleitete mich die Musik dieser Band in meiner Teenie-Zeit und
obwohl sie für mich inzwischen an Stellenwert eingebüßt hat, so erfreue ich
mich immer noch an ihren Songs.
Ohne Zweifel ist es immer tragisch, wenn ein Mensch den
Kampf gegen seine inneren Dämonen verliert und den Freitod wählt. Und es ist
unlängst beschissen genug, dass ein guter Musiker gestorben ist.
Allerdings – und ich will den Menschen ihre trauernde
Sprachlosigkeit bezüglich des Verlustes nicht absprechen und bezichtige
niemanden nicht wirklich im den Sänger zu trauern – ist mir trotz meiner
eigenen Betroffenheit der zeitlich verzögerte Aufschrei der Menschen bezüglich
Depressionen zuwider. Nun, auch wenn die mediale Sintflut sich diesbezüglich (noch?)
recht bedeckt hält, so beobachte ich das Ganze skeptisch.
Aber was genau stört mich? Es sind genau zwei zentrale
Aspekte; Zum einen die Reduzierung eines Menschen auf seine Krankheit –
schließlich war Chester Bennington mehr als nur eine Person mit Depressionen –
und zum anderen der Umgang mit dem Thema Depressionen an sich, dass durch seine
dilettantische Verkürzung dem Betroffenen nicht gerecht wird.
Das
gesellschaftliche Depressionsdrama
Zuerst möchte ich mich dem Thema im Allgemeinen zu wenden.
Im alltäglichen Leben leiden viele Menschen an Depressionen und zu oft wird
diese Erkrankung von viel zu vielen Personen abgetan. Nach dem Motto „Jeder ist
ja mal traurig.“ oder „Dann sei doch einfach nicht mehr traurig.“ werden
Betroffene oft nicht als ernsthaft erkrankt wahrgenommen – Zumindest ist das
der Eindruck, den viele Depressive beschreiben und welches ich am Verhalten
anderer bestätigt sehe.
Vielleicht liegt es daran, dass aufgrund der
Eigendiagnose „Depression“ die Gesellschaft ähnlich abstumpfen ist wie es bei
selbstzugeschriebener Legasthenie oder ADHS. Möglicherweise können sich viele
auch schlichtweg nicht vorstellen, wie die eigene Psyche droht von dem dunklen
Sog ihrer Selbst verschlungen zu werden und wie einen die eigenen düsteren Gedanken
immer mehr in den seelischen Abgrund zwischen Trauer, Verzweiflung und
Gefühlslosigkeit treiben ohne dass man sich ihrer Macht entziehen könnte, ganz
gleich wie man sich wehrt.
Es könnte aber auch damit zusammenhängen, dass in einer
sich zur Selbstoptimierung geißelnen Gesellschaft kaum Platz für Krankheiten
generell ist, insbesondere, wenn es sich um welche handelt, die nicht sichtbar
sind oder sich vor allem auf die Black Box des menschlichen Geistes beziehen.
Zudem wird oft suggeriert, dass Depressionen per se heilbar sowie temporär sind
und eigentlich jeder Mensch mal darunter leiden würde. Dass dabei viele
Menschen übersehen werden, deren Dämonen sie länger, vielleicht sogar ein Leben
lang begleiten und nicht zwangsläufig zu behandeln sind, wird dabei außen vor
gelassen. Dabei spreche ich von Dimensionen, die außerhalb dieser „einmal im
Leben für eine Zeit“- Terminologie fallen, sondern von den Menschen, bei denen
die Erkrankung zum ständigen Begleiter geworden ist. Und nein, dabei handelt es
sich nicht um randständige Existenzen, die im Strudel der Zeit verschlungen
wurden; Es betrifft auch viele Personen, die einen Platz mitten in der
Gesellschaft haben. Aber das ist ein Thema, dass an für sich adipöse Bände einer
Depressions-Enzyklopädie beanspruchen würde und hier nicht weiter ausgeführt
wird.
Unwissenheit
statt Ausklärung
Diese
gesellschaftliche Verklärung zu Depressionen führt mitunter zu einen für mich
skurril anmutenden Gebaren vieler
Menschen, dass zu diesem Thema zu Tage tritt. Ich will bei Leibe nicht sagen,
dass ich auf dem Gebiet besonders versiert bin, jedoch bin ich mir meiner
begrenzten Kenntnis bewusst und habe mir die Müge gemacht, mich fachlich zumindest
grob zu informieren und mit Betroffenen zu sprechen.
Um
es vorweg zu nehmen: Mir widerstrebt dabei NICHT die kollektive Betroffenheit,
die nach dem Suizid eines bekannten Depressionsleidendem auftritt, sondern die
kurz danach auftretende Fülle von Kommentaren zu der Krankheit. Und das von
Menschen, deren Wissen - zumindest legen es so manche Aussagen nahe – darüber derart
oberflächlich ist, dass es mir die Schamesröte ins Gesicht treibt. Und gerade
diese Beiträge werden mitunter bis zum Erbrechen gelikt und geteilt und
verbreiten so ein Bild von Depressionen, dass diese Erkrankung nur unzulänglich
bis falsch wiedergibt.
Mit
Unbehagen entsinne ich mich an die Flut an unwissenden Posts und Kommentaren,
die nach dem Ableben von Robin Williams die digitale Welt überschwemmten.
Gedanken a la „Durch seine Depressionen war seine Heiterkeit nur eine Maske“
oder „Er wollte andere zum Lachen bringen, weil er selbst so traurig war“
wurden an jeder Ecke der Social Media Welt verbreitet. Der Gedanke, dass Depressive
nicht aus vollen Herzen lachen könnten zeigt mehr als deutlich die Unwissenheit
über eine Erkrankung, die so vielfältig zu Tage tritt, dass manchmal Betroffene
und ihr Umfeld von der Diagnose überrascht sind.
Aber
es tangiert mich wahrlich nicht nur die Ahnungslosigkeit über Depressionen,
denn Unwissenheit an und für sich ist grundsätzlich nichts Verwerfliches, wenn aber
Unwissende ihre Gedanken zu einen Thema präsentieren, als wüssten sie, wovon
sie reden, erscheint mir gerade bei einen solchen Zusammenhang ziemlich
unpassend. Jeder, der sich einigermaßen mit Depressionen auseinander gesetzt
hat – ganz gleich, aus welchen Gründen – dürfte wissen, dass sich diese
Krankheit nicht so platt pauschalisiert werden kann.
Zweierlei
Maß
Der letzte Aspekt, der sich mit Depressionen im Allgemeinen
befasst, ist die gegensätzliche Reaktion, die bei dem Thema auftritt. Ich fände
es begrüßenswert, wenn sich die Gesellschaft mit dieser Erkrankung jenseits der
hohlen Phrasen auseinandersetzt und selbst, wenn der Anstoß durch den Verlust
eines bekannten Menschen geschieht. So hinterließe der Tod neben der Trauer ein
Fünkchen Hoffnung, was jedoch dann im Zusammenhang mit Prominenz zum Thema geschieht,
ist an perverser Doppelmoral kaum zu überbieten; schließlich scheint es, als
wenn aus „Dann hör´ doch auf, traurig zu sein“ „Depressionen sind so schlimm“
wird.
Anstatt, dass sich ein allgemeines Verständnis für die
Erkrankung einstellt, wird mit zweierlei Maß gemessen. Ich vermute, die meisten
Betroffenen – sei es die erkrankte Person selbst oder deren Angehörigen –
spüren vielleicht eine ähnliche Aversion bezüglich dieses Ungleichgewicht der
Reaktionen; Zum einen das alltägliche Erleben der Banalisierung sowie dem
Missverstehen von Depressionen und dann die exorbitante Menge an flüchtigen Verständnis
für diese Krankheit, wenn es eine bekannte Person betrifft.
Trauer
um einen Musiker
Nun, neben diesem fast schon skurril anmutenden Umgang
mit Depressionen scheint ein weiterer Missstand aufzutreten, wie ich ihn zu
Beginn bereits angesprochen habe. Denn durch diese Depressionspost im Kontext
zu dem Suizid eines Menschen rückt relativ zeitnah das eigentliche Thema nach
hinten. Statt einfach mal nur um den Musiker Chester Bennington zu trauern,
verseuchen zunehmen die platten „Depressionsweisheiten“ die Todesmeldung.
Die unmittelbare Nennung der Krankheit bei seiner
Todesmeldung ebenso wie die mediale Welle der Depressionskommentare führen
dazu, dass die Trauer um die Person nebensächlich wird. Damit wird weder den
Angehörigen noch dem Verstorbenen genüge getan; Aus einen Menschen mit Familie
und Karriere wird ein Musiker, der sich wegen Depressionen umgebracht hat.
Es hat keinen halben Tag nach der Bekanntwerdung gedauert
bis gefühlt jede Meldung bezüglich seines Todes das Wort Depression genannt
wurde. Es ist mehr als schade, dass nicht mal in Ruhe um einen Musiker
getrauert werden kann, ohne dass gleichzeitig auf seine Depressionen
hingewiesen wird. Ich habe mitunter den Eindruck, dass der Freitod eines
Prominenten für die Medienwelt eine besondere Perle zu sein scheint…
Zwischen
Abschiednehmen und Ärgernis
Nun, diese zwei Aspekte, die bei diesem Todesfall zutrage
kommen; Der ambivalente Umgang mit einer Krankheit verstimmt mich und behindert
mich persönlich daran, um einen meiner liebsten Musiker meiner Jugend zu
trauern. Und ja, mir ist durchaus bewusst, dass ich mit diesem Beitrag
gleichermaßen an dem Diskurs teilnehme, aber der Weg ist ein anderer.
Es gibt viele Dinge, die gesellschaftlich arg
verbesserungswürdig sind, jedoch dieser Punkt tangiert mich aufgrund meines
eigenen Unverständnisses in besonderen Maße. Ich kann schlichtweg nicht
erfassen, warum die Menschen eine solche Auffassung von Depressionen haben und
geistige Erkrankungen generell eine gesellschaftliche Stigmatisierung erfahren,
so sind körperliche Gebrechen doch anerkannt; Niemand würde jemanden mit
gebrochenen Bein sagen, dass es einfach nicht mehr gebrochen sein soll. Es ist
wahrlich nicht so, dass ich das nicht auf intellektueller Ebene verstehe; Es
ist viel mehr so, dass mein Verständnis dieses Unverständnis nicht begreifen
kann – oder will.
Fazit
– Was bleibt
Wie dem auch sei; Letztendlich bleiben neben einer
trauernden Familie und bestürzten Fans auch viele Leidensgenossen zurück, die
diese Farce von einer verständnisvollen Allgemeinheit ertragen müssen. Es mag
nicht so drastisch sein, wie ich es schildere, aber zweifelsohne lässt sich
nicht leugnen, dass dieser Eindruck über die Medien – und damit umfasse ich
auch die Web 2.0 Instanzen – transportiert wird. Und ich bezweifle, dass nur
ich diesen Eindruck habe.
Im Großen und Ganzen – und es gibt vermutlich noch einige
Aspekte zu berücksichtigen – bewirkt der Selbstmord Chester Benningtons mehr
als die Trauer von Angehörigen und Fans. Und das finde ich schon bitter genug.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen