Kreativität
- ein herrlich undefinierter Begriff, der unseren Alltag infiltriert alsbald
irgendwas auch nur irgendwie in irgendeiner Weise künstlerisch zu seien
scheint. Kaum zeichnet jemand ein paar Striche, reimt ein paar Worte oder färbt
etwas in einer „ungewöhnlichen“ Farbe fällt das Wort „kreativ“. Damit scheint
Kreativität inflationär an allen Ecken verschlissen zu werden und alle sind
irgendwie immer total kreativ.
Aber
was gilt eigentlich als „kreativ“ und warum widerstrebt mir dieses Label häufig,
obwohl es mir des Öfteren aufgedrückt wird?!
Kreative Gesellschaft: Die dekadente
Wortverwendung
Zunächst
will ich mal meinen persönlichen Eindruck vom gesellschaftlichen Umgang damit
erläutern, weil, na ja, es scheint mir halt sinnig.
In
unseren Gefilden scheint so ziemlich alles irgendwie kreativ zu sein, was mit
Malen, Musik und Co. in Verbindung steht; Jede Tätigkeit, jedes Ergebnis, was auch
nur vage einen künstlerischen Bereich tangiert, gilt als kreativ. Dabei scheint
es egal zu sein, ob die Zeichnung eigentlich nur ein mehr oder weniger
gelungener Abklatsch etwas bereits existierenden ist - sei es vom selben
Erschaffer oder von einen anderen.
In
diesem Zusammenhang, so nehme ich es zumindest wahr, bewirkte zum Beispiel der
Erfolg eines Roman á la Twilight eine regelrechte Überschwemmung von
vampirig-werwölfigen Büchern (wie mir scheint vor allen) in der
Jugendliteratur. Durch die ständige Wiederholung in geringfügig abgewandelten
Formen mutierte der Themenbereich zu einen recht einheitlichen Brei, der eine
Massenproduktion zu sein scheint. Sicher, für Verlage war es lohnend, auf
diesen glitzernden Zug auf zu hüpfen, aber was ist mit den AutorInnen?! Es ist
möglich, dass für einige von ihnen jenes Werk literarisches Neuland ist oder ihnen
vom Verlag etwas aufgedrückt wurde, aber - ohne dass ich mich selber intensiv
mit diesem Bereich befasst habe - es scheint sich doch ein homogener Literaturmatsch
in diesem Genre entwickelt zu haben. Kann man diese zahlreichen Ergüsse als
kreativ bezeichnen oder ist es ein Schlag in das Gesicht anderer KünstlerInnen,
die diese Bezeichnung mehr „verdient“ haben?
Oder
ist es kreativ, wenn sich ein Künstler immer wieder mit demselben Thema befasst
und seine Ergüsse unterschiedliche Varianten dessen darstellen? Nicht zuletzt
wird Kafka zum Beispiel immer nachgesagt seine Daddy Issues zu verarbeiten.
Kann
man in diesen Fällen von Kreativität sprechen? Jein - zumindest meiner Ansicht
nach. Der Grad der Unterscheidung zwischen Kreativität und ständiger
(Selbst)Wiederholung ist mitunter schwierig festzumachen und oft höchst
subjektiv. Aber das alles ist schon außerhalb der alltäglichen Ebenen, die mich
in diesem Blogeintrag konkret beschäftigen.
Ich
werde mein Unbehagen an diesen Beispiel veranschaulichen; In einen Kurs bekamen
wir Teilnehmer die Aufgabe, aus den Buchstaben B L A U einen sinnigen Satz zu
formulieren, dessen Wörter mit eben diesen Buchstaben versehen seien sollten.
Zur Veranschaulichung wurde uns der Satz
„Bernd liegt am Ufer“ präsentiert, ehe wir uns vier Minuten diesem Spiel widmen
durften. Das Ergebnis: Einige von uns hatten in dieser knappen Zeit um die zehn
Sätze zu Stande gebracht, ich hingegen bin nur auf die angeforderten drei
gekommen. Allerdings waren die meisten dieser Sätze nur geringfügig
abgewandelte Varianten des
Beispielsatzes. Wenn es nicht Bernd war, der am Ufer lag, war es Beate
oder Bär. Meine drei Sätze waren da doch etwas anders: „Bulimiker lassen alles
unverdaut.“, „Biologie liefert alle Umstände.“ und „Bourdieu liebt alles
Unklare“. Nun, ist Quantität oder Qualität kreativer? Ohne, dass ich mich
selber als besonders kreativ beschreiben würde, behaupte ich mal keck und
frech, dass meine Sätze sich von den anderen und voneinander mehr als nur
geringfügig unterscheiden. Ich würde sie sogar als kreativ bezeichnen, was mein
Verständnis dieses Begriffes verdeutlichen dürfte.
Kreativität und Wissenschaft
Aber
was sagt unser Freund die Wissenschaft dazu? Aufgrund meiner derzeitigen
Tätigkeit in der Kreativitätsforschung - und ja, das klingt verdammt unsexy -
konnte ich einen Einblick diesbezüglich erhalten. Zunächst einmal sei gesagt,
auch hier scheiden sich die Geister und es gibt zahlreiche Definitionen,
unterschiedliche Bewertungen ihres Stellenwerts, yada yada yada.
Die
Position von Dr. Klaus K. Urban, u.a. Pädagoge, scheint mir persönlich eine der
Sinnigsten zu sein. Ohne viel in die Tiefe zu gehen, will ich das Ganze mal
zusammenfassen bzw. auf das Nötigste runterbrechen, ohne aber den Anspruch an
Vollständigkeit und totaler Wissenschaftlichkeit zu erheben. Was für diesen
Beitrag wichtig ist, ist Folgendes:
- Kreativität umfasst bei Urban, dass die kreative Ideen eines Individuums zum einen für ebendieses neu ist und zum anderen in ein Produkt (Musik, Bild, etc.) umgesetzt werden. Damit ist ein Gedanke für sich alleine nicht als kreativ zusehen, sondern nur, wenn er mitgeteilt und in ein Produkt umgesetzt wird.
- Zudem muss dieses Produkt eine gewisse Anerkennung von anderen Individuen erhalten bzw. eine Art Mehrwert für sie darstellen
- Dabei wird nicht erwartet, dass das Rad neu erfunden wird; es kann auch die unübliche Kombination von Elementen sein wie „Ich schneide Wurst in mein Vanilleeis“ - wobei das sicherlich einige Schwangere bereits ersonnen und umgesetzt haben.
- Demnach ist Kreativität mit einen gewissen Out-Off-The-Box-Denken verbunden, wobei kritisches Hinterfragen, das Reflextieren der eigenen Gedanken und Empathie ebenfalls in dem Definitionstopf geworfen werden.
- Ferner ist auch die Motivation seine kreativen Impulse umzusetzen und am besten gar zu vollenden relevant in diesem Kreativitätsverständnis. – Jedoch entsinne ich mich gerade nicht, ob die Vollendung eines Werkes Bedingung sein muss.
- Urban listet zudem noch einen weiteren Punkt auf: Der Anlass von Kreativität geht mit einer Problemstellung einher, die durch die kreative Handlung gelöst werden soll. Ich bin mir derweil noch nicht sicher, auf was genau er sich da bezieht, würde es aber so erklären; der Impuls etwas Kreatives Umzusetzen kann das „Problem“ sein. Zum Beispiel, wenn ich bestimmte Ideen nicht umsetze, werde ich irgendwann so davon getrieben, dass es viele andere Gedanken verdrängt und ich meinen inneren Drang nachgehen muss, um den Kopf wieder frei zu haben. (Trivia-Fact: So ist auch dieser Text entstanden.)
Also, kann man Kreativität jetzt essen?
Grundsätzlich
ist es schwierig, das Ganze völlig aufzudröseln und auch dieser Blogartikel
kann diesem üppigen Thema bei Leibe nicht gerecht werden. Es wirft das Dilemma
auf, dass unter „Kreativität“ nicht jeder banale Scheiß verstanden werden
sollte, aber gleichzeitig nicht erwartet werden kann, dass nur etwas völlig
Neues darunter gefasst wird.
Bei
der Existenzzeit der Menschheit, der Anzahl von Individuen, die bereits lebten
oder es derweil tun, kann ein Gedanke zumeist noch nicht „nie gedacht“ worden
sein. Allerdings kann er für eine Gruppe noch unbekannt sein. Wie zum Beispiel
die Idee, Würstchen ins Vanilleeis zu schneiden; Das wäre eine neue Idee für
Menschen, die noch nicht schwanger waren oder es unmittelbar bei anderen
miterlebt haben. Gleichzeitig verdeutlicht dieses Beispiel auch den Aspekt der
Kombination von den bekannten Elementen Wurst und Vanilleeis zu einen neuen -
möglicherweise - kulinarischen Hochgenuss. Ebenso kann das Zweckentfremden von
Elementen außerhalb ihrer ursprünglichen Bedeutung mitunter als kreativ bewertet
werden. Zum Beispiel repariere ich viele Sachen mit Dübeln; wie die
Klorollenhalterung meiner alten Wohnung. Da Klorollenhalterungen nicht zum
natürlichen Habitat von Dübeln - also der Wand - gehören, kann man hier
durchaus von Out-Of-The-Box-Denken sprechen.
Und wonach schmeckt sie?! - Nach
Wurststückchen im Vanilleeis
Was
ist also die Conclusio meines Wurstgeschwafel zum Thema Kreativität? Was
bleibt, ist, dass wissenschaftliche Positionen zur Kreativität ein deutlich
differenziertes Bild des Begriffes aufweisen, als der alltägliche
Inflationsgebrauch unserer Gesellschaft. Das hat zur Folge, dass ich als
Autorin/Kättoonistin diese Zuschreibung zumeist als unangenehm empfinde;
Schließlich bin ich mir bewusst, dass das Wort „Kreativität“ öfters in den Mund
genommen wird als so manche Zahnbürste. BTW, von einer befreundeten Autorin
weiß ich, dass es ihr ebenso geht und es ist doch arg unwahrscheinlich, dass
nur wir das so empfinden.
Es
wäre begrüßenswert, nicht jeden Schmuh kreativ zu schimpfen und - da lehne ich
Urbans Ansichten zu einen gewissen Maß ab - die Anerkennung sollte nicht eine
Rolle spielen; Zumindest sollten immer wieder durchgenudelten Themen trotz
breiter Anerkennung nicht bedingungslos als kreativ bewertet werden, sofern
deren Ausgestaltung sich nur gering von den anderen Erzeugnissen unterscheiden.
Der Tausendesten Roman über die verbotene Liebe zwischen Pastor und
Gemeindemitglied sollte wenigstens in stilistische oder elementbezogenen
Aspekten neuartig sein; Vielleicht spielt er in einer fernen Zukunft, in der
die Pastoren prophylaktisch ein Keuschheitsgürtel tragen müssen, der bei
sexueller Erregung einen Stromschlag abgibt oder dass sich Kleriker und
Schäfchen bei einen gemeinsamen Essen von Vanilleeis mit Wurststückchen näher
kommen. - Wahrscheinlich hat jemand diese Ideen bereits umgesetzt und ich
hoffe, dass mir diese Person ein signiertes Exemplar davon zukommen lässt.
Kreatives Dilemma: Zwischen Neuartigkeit
und Wiedererkennung
Wenn
man sich als Schaffender über das Stadium „Ich mache, was mir gefällt! Egal,
was andere dazu sagen.“ hinaus ist und sagt „Ich mache, was mir gefällt, aber
ich möchte nicht im homogenen Matsch von Erzeugnissen versumpfen. Es ist mir
zwar egal, was die meisten sagen, aber nicht bei meiner Zielgruppe.“ werden
andere Dimensionen des Kreativitätsverständnis deutlich. Damit ist man dann in
der Regel schon über die privaten Gebrauch der eigenen Kreativität hinaus und
strebt an, weitere Kreise zu erreichen. Als jemand, der mit seinen Kram nicht
nur das nahe Umfeld erfreuen mag, sondern ein größeres Publikum anstrebt, sind
Gedanken zur eigenen Positionierung und Kreativität ziemlich hilfreich. Einige
meiner Autorenkollegen und ich sind uns da einig, dass wir uns der
Herausforderung stellen, den eigenen Stil zu bewahren und gleichzeitig sich
oder andere nicht einfach ständig zu reproduzieren. Dass die Erzeugnisse eines
kreativen Kopfes durch die eigene Person zu einer gewissen Ähnlichkeit kommen
können, liegt nahe, und ist mitunter sogar erwünscht. Dabei ist der Balanceakt sich
zwischen eigenen Stil, aber ohne zu große Ähnlichkeit zwischen eigenen
Produkten untereinander sowie den Ergüssen zu bewegen. Ob und in welcher
Ausprägung man Differenzen und Gemeinsamkeiten des Eigenen haben möchte, muss
dabei jeder selbst überlegen, nur macht es das Ganze nicht wirklich
übersichtlicher. Aber: Es muss nicht alles immer exorbitant kreativ sein;
wichtig ist vor allem, dass es den Lesenden in irgendeiner Weise erfreut.
Kreativ oder nicht-kreativ, das ist hier
die Frage!
Wie
dem auch sei, ohne, dass ich die Zuschreibung von Kreativität auf mich selbst
anwenden möchte, so wäre mir ein differenzierteres Alltagsverständnis
willkommen. Natürlich liegt es in der Natur der Sache, dass ein gewisser
subjektiver Spielraum in der Kreativitätsdeklarierung vorhanden ist. Was
Kreativität wirklich ausmacht, ist derweil nicht - oder vielleicht auch nie -
klar festzulegen. Muss man aber auch nicht, denn Kreativität ist eine Sache,
die besonders dem persönlichen Geschmack unterliegt. Sie ist etwas, was nur schwer zu fassen und noch schwerer zu definieren ist.
Dennoch würde ich es
begrüßen, wenn mit diesem Begriff nicht um sich geschmissen wird wie mit
Erkältungserregern beim Niesen. Damit will ich bei Leibe nicht den Mehrwehrt
eines Buches schmälern, dass eine Geschichte, die schon so oft erzählt wurde,
beschreibt. Auch das kann den Leser beglücken, weil es vielleicht bestimmte
Aspekte mehr betont als die anderen Varianten. Aber Kreativität sollte mehr
sein, als nur ein paar Striche, ein paar Reime oder ein paar Noten und mal
ehrlich, nicht alles, was jemand macht, muss immer total „kreativ“ sein. – Und das gilt auch für Schaffende, die damit
Geld verdienen.
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